Ansprache zum Fest des Heiligen Johannes vom Kreuz (15.12.2025)

Mit dem Advent verbindet sich uraltes Brauchtum, mit dem die Jüngeren in unserer Gesellschaft oft kaum mehr vertraut sind. Das ist schade, denn in den volkstümlichen Bräuchen stecken nicht nur kulturelle Schätze; oft verbergen sich dahinter auch tiefe Glaubensaussagen, zu denen der scheinbar schlichte Brauch auch uns Heutigen einen neuen oder tieferen Zugang schenken könnte. So ist es mit einem Brauch, den der Heilige des heutigen Tages, Johannes vom Kreuz, mit Hingabe gepflegt hat.

Es heißt, dass Johannes überall, wo er Hausoberer war, am Heiligabend mit der ganzen Gemein­schaft die Herbergssuche Marias und Josephs (Lukasevangelium 2,7b) so realistisch wie nur möglich nachgestellt hat. Einzelne Brüder spielten die Rolle der ungastlichen Wirte, und der Rest zog singend mit Maria und Josef von einem Bruder zum anderen. Dazu wurde auswendig ein eingängiger Refrain gesungen, den man sich leicht merken konnte. Und Johannes oder ein anderer guter Sänger sang eine Strophe nach der anderen dazu, oft im Stehgreif improvisierend. Das hatte Johannes schon als kleiner Junge von seinem zwölf Jahre älteren Bruder Francisco gelernt.

Auf den Zetteln finden Sie den deutschen Text eines solchen Refrains. Wir wissen nicht einmal sicher, ob Johannes ihn selbst gedichtet oder ihn nur vorgefunden und Strophen dazu improvisiert hat. Für ihn als Verfasser spricht aber, dass dieser kurze Refrain eine erstaun­liche theologische und geistliche Tiefe hat:

„Schwanger mit Gottes Wort / kommt sie des Weges hier, /

Maria, die Jungfrau. / Gibst du ihr Herberg bei dir?“ (Poesie 13)

 

Wenn die mit Gottes Wort schwangere Maria bei jedem Mitglied der Gemeinschaft – bei jeder und jedem von uns hier – um Aufnahme bittet, dann ist das nicht nur frommes Brauchtum, und es geht auch nicht nur um die Frage, wie wir mit Flüchtlingen oder überhaupt mit Fremden umgehen, die unsere Hilfe brauchen.  Es geht um die Gottesgeburt in der Seele der Einzelnen, ein Motiv, das auch bei Meister Eckhart und bei Angelus Silesius eine wichtige Rolle spielt. Wir kennen alle den Spruch: „Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir…“ (Cherubinischer Wandersmann).

Vielleicht ist Ihnen aber gleich aufgefallen, dass es in dem kleinen Refrain nicht heißt „schwanger mit Gottes Sohn“ oder „schwanger mit Jesus“, sondern „mit Gottes Wort“. An anderer Stelle schreibt Johannes, dass Gott nur ein Wort hat, dass er uns immer wieder zuspricht:

„Ein einziges Wort hat der Vater gesprochen, und das war sein Sohn,

und dieses Wort spricht er immer wieder in ewigem Schweigen,

und im Schweigen muss es von der Seele gehört werden“

(Worte v. Licht und Liebe, 99).

 

Was bedeutet das? Es bedeutet, dass Gott nur eine einzige Botschaft für uns hat, die er uns immer wieder ins Herz spricht: Gott spricht uns buchstäblich immer wieder sich selbst zu, so wie er uns menschlich zugänglich ist in dem menschlichen Antlitz Jesu. Wie wenn Gott immer wieder sagte: ICH bin SO, wie ihr es an Jesus erleben könnt, glaubt es mir doch.

Aber warum spricht er diese Botschaft dann so leise, so ins „Schweigen der Ewigkeit“ gehüllt? Damit wir lernen, still genug zu werden, um ganz genau hinhören zu können: Da ist kein „Du sollst, du musst, du darfst nicht“ drin, kein bisschen Vorwurf „Das wird nichts mit dir; du strengst dich nicht genug an.“ Da ist nur: „Hier bin ich mit meiner ganzen Liebe. Darf ich bei dir einziehen?“

Nun wohnt Gott längst in uns, weil die Verbindung mit unserem Schöpfer uns von Augen­blick zu Augenblick am Leben erhält. Aber es ist ein großer Unter­schied, ob er wie ein geduldeter Fremder mit der hintersten Rumpelkammer vorliebnehmen muss – oder ob wir zulassen, dass er in uns erwacht als der, der er ist, und neu in uns geboren wird:

„Wie sanft und liebevoll gestaltest du dein Erwachen, du Wort, mein Bräutigam, in meiner Seelenmitte, … wo nur du als ihr Herr geheimnisvoll und schweigend verweilst, nicht nur wie in deinem Haus, ja nicht einmal nur wie in deinem eigenen Bett, sondern mit innigster und enger Bindung sogar wie in meinem Schoß“ (Lebendige Liebesflamme 4,3).

„In meinem Schoß“ – wie bei der schwangeren Maria. Ich möchte uns alle einladen, diesen kleinen Refrain, den wir gleich auch auf eine bekannte Melodie singen werden[1], als Mantra in die noch verbleibenden Adventtage mitzunehmen. Er könnte uns wie ein Ohrwurm begleiten, mitten in alldem, was vor Weihnachten noch alles zu erledigen ist, und uns immer wieder daran erinnern, worum es letztlich geht: Um Gott, der uns ins Herz spricht:

ICH möchte bei dir einziehen; Ich möchte neu geboren werden in dir: Darf ich?

 

Sr. Elisabeth Peeters


 
[1] GL 417: Stimme, die Stein zerbricht; Melodie von Trond Kverno