Ansprache zum Fest der heiligen Teresa von Avila (15.10.2025)

Was ist das eigentlich, Heiligkeit?

In ihrer spanischen Heimat nennt man Teresa nur „la Santa“ – „die Heilige“. Aber was ist das eigentlich, Heiligkeit?

Ich möchte Sie zu einer Zeitreise einladen ins Jahr 1578. Das war mit Abstand das schlimmste im Leben Teresas. Ihre Gegner tun alles, um ihr Werk zu zerschlagen. Der Nuntius nennt sie öffentlich „ein unruhiges, herumvagabundierendes… Weibsbild“. Einer ihrer beiden besten Mitarbeiter wird an einem geheimen Ort festgehalten, den anderen belegt der Nuntius mit Klosterarrest und Korrespon­denz­­­verbot. Zwei Tage vor Weihnachten erfährt sie dann auch noch von ehrenrührigen Verleum­dungen gegen sie selbst.[1] 

Wie reagiert Teresa auf diese geballte Vernichtungskampagne?

Später, wenn sich die Lage durch eine Intervention des Königs entspannt hat, erinnert sie sich vor allem an den inneren Frieden und die Freude, zu denen sie sich im Gebet durchrang:

„Ich sage euch, Schwestern, damit ihr das Erbarmen unseres Herrn seht,… dass mir das nicht nur keinen Schmerz, sondern eine (große) Freude bereitet hat“ (F 27,21).

– Freude deswegen, weil sie sich sagte: Worüber so böse gelästert wird, das muss etwas sein, das viel Segen bringt.

Für alle aber – mich eingeschlossen –, die jetzt denken „Sie war eben heilig, ich könnte das nicht“, sei gesagt: Das ist nicht die ganze Geschichte. Es war auch für Teresa keineswegs so, dass sie nur mal kurz zu beten brauchte, um völlig souverän darüber zu stehen. Ihre erste Reaktion war eine sehr menschliche, erschütternd normale – und das finde ich sehr tröstlich: Es wird berichtet, dass sie an jenem Heiligabend während der ganzen, mehrstündigen Matutin bitterlich geweint hätte und gar nicht aufhören konnte.

Nun war Teresa zu diesem Zeitpunkt in ihrem Gebetsleben sehr weit fortgeschritten. Ihr Hauptwerk, die Innere Burg, hatte sie im Vorjahr abgeschlossen, und es ist keine Frage, dass sie aus eigenem Erleben kannte, was sie in den Siebten Wohnungen über die tiefe Gotteinung schreibt. Aber vielleicht haben wir eine falsche Vorstellung davon, wie das mit den „sieben Wohnungen“ gemeint ist?

Teresa denkt sich das Ganze nicht als Fahrplan mit sieben Stationen, die wir nacheinander bewältigen müssen, sondern eher als einen „einzigen Diamant oder sehr klaren Kristall“ (1M 1,1) mit ganz vielen Facetten, d. h. unendlich vielen Räumen, in denen jede und jeder von uns hin und her gehen darf, in großer Freiheit und ohne jede Einengung:

 „Auch wenn hier von nicht mehr als nur von sieben Wohnungen die Rede ist, gibt es in jeder von ihnen viele: oben und unten und an den Seiten, … so dass ihr euch vor Lobpreisungen auf den großen Gott, der dies nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat, am liebsten auflösen wolltet“ (7M Nachw., 3).

Und

„In der innersten Mitte von all diesen Wohnungen liegt die vornehmste, in der die höchst geheimnisvollen Dinge zwischen Gott und der Seele vor sich gehen“ (1M 1,1.3).

 

Teresa stellt sich unter der „Siebten Wohnung“ also nicht einen besonders hohen Gipfel vor, den nur die Extrembergsteiger unter den Heiligen erreichen. Sie denkt an erster Stelle an den Ort ganz tief in uns allen drin, wo wir ununterbrochen   mit unserem Schöpfer verbunden sind: die Mitte unserer Seele, wo wir ganz heil sind, weil wir „nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen“ sind und IHN in uns tragen. Jeder und jede von uns, auch der schlimmste Sünder.

Wie kann sich dieser heile und helle Ort in uns ausbreiten? Wie kann Gott mehr Raum in uns bekommen, so dass sein Licht und seine Liebe auch unseren Alltag und unseren Umgang mit den Mitmenschen prägen? Das ist eigentlich nicht so schwer, meint Teresa:

„Richtet eure Augen auf die Mitte, die der Raum ist, wo der König weilt“ (1M 2,8).

 

 „(die Seele) braucht keine Flügel, um sich auf die Suche nach Gott zu machen, sondern nur Zeit mit ihm allein zu verbringen und ihn in ihrem Innern anzuschauen“ (CV 28,2).

Auf diesem Weg lernen wir nicht nur Gott besser kennen, sondern auch uns selbst, unsere eigene Innenwelt mit ihrem Reichtum und ihren Schattenseiten. Das ist eine spannende Reise, auf der wir zwischen den Wohnungen hin und her pendeln. Dabei ist es ohne weiteres möglich, manche Aspekte gleichzeitig zu erleben, die Teresa in unterschied­lichen Woh­nungen unterbringt. Der Teresa-Kenner Antonio Mas Arrondo sagt sogar, dass ein Mensch

„unfähig sein mag, manche grundlegende moralische Fehler zu überwinden und doch zugleich aber in anderen Aspekten seines geistlichen Lebens sehr weit gekommen sein mag.“[2]  

Viele Beter:innen kennen mit der Zeit Momente, in denen sie ganz bei IHM an diesem tiefen Ort weilen. Dort geht es nur mehr um gegenseitige Hingabe zwischen Gott und Mensch, und um Versöhnung der Gegensätze in uns. Nur so wird dann auch ein versöhntes, friedliches Miteinander möglich. Von Aktualität gesprochen… Teresa sagt zwar, dort gebe es

„fast keine inneren Unruhezustände mehr, … sondern die Seele weilt fast ständig in inne­rer Ruhe“ (7M 3,10).

Aber nur fast, denn sie ergänzt gleich:

„Ihr dürft aber nicht meinen, Schwestern, dass die Wirkungen, die ich genannt habe, bei diesen Seelen beständig da seien … Denn ab und zu überlässt unser Herr sie ihrer Natur, und da sieht es dann nicht anders aus, als würden sich alle giftigen Viecher aus dem Vorwerk und den Wohnungen dieser Burg [gegen sie] zusammentun“ (7M 4,1).

Wie bei ihr selbst an jenem Heiligabend im Jahr 1578… und bis kurz vor ihrem Tod, wo sie offen gesteht, dass sie wegen der starren Haltung des Bischofs von Burgos

„in einem großen Stimmungstief war und auch meine Begleiterinnen mitten drin steckten“, bis sie „beim Beten die Worte vernahm: Auf Teresa, sei stark“ (F 31,21).

 

Teresa blieb bis zuletzt ganz Mensch. Sie zeigt damit, dass Heiligkeit nichts mit übermenschlichen Tugendleistungen zu tun hat, sondern damit, unser ganzes Menschsein mit seinen Grenzen anzunehmen und es von Gott verwandeln zu lassen.

Heilige sind ganz normale Menschen wie Sie und ich, die gelernt haben, ihre eigene Wirklichkeit, so wie sie ist, und auch die der anderen Gott hinzuhalten. Immer wieder. Und das kann eigentlich jede und jeder von uns…



Sr. Elisabeth, Karmel Kirchzarten


[1] Der neue Nuntius Filippo Sega war schon voller Vorurteile gegen sie in Spanien angekommen. Johannes vom Kreuz ist entführt worden, und scheint unauffindbar. Mitte August kann er fliehen, muss aber untertauchen. Im November wird Jerónimo Gracián, der für den Fortbestand ihres Werkes unentbehrlich ist, mit Klosterarrest, Korrespon­denz­­­verbot und das Verbot belegt, je wieder ein Amt auszuüben. Es gibt schlimmen Verleum­dungen gegen ihn, die der Nuntius ungeprüft nach Rom weiterleitet. In den letzten Tagen vor Weihnachten wird Teresa offiziell von der Inquisition mitgeteilt, dass ihr jede weitere Gründung verboten wird und dass es auch gegen sie schlimmste Diffamierungen gibt: Diese Alte, die mit jungen Frauen durch die Gegend zieht, führe in ihrem Planwagen „ein fahrendes Bordell“, und „die Wirtshäuser seien voll von (ihren) sakrilegischen Kindern“ (María de San José, Libro de Recreaciones, IX, 215; Ana de San Bartolomé, Obras completas, Bd. 1, 66).

[2] A. Mas Arrondo, Acercar el cielo. Itinerario espiritual con Teresa de Jesús. Santander: Ed. Sal Terrae 2004, 24.