Ansprache zum Fest der heiligen Therese von Lisieux (1. Oktober 2025)

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Vertrauen auf die unendliche Barmherzigkeit Gottes




Heute feiern wir die heilige Thérèse von Lisieux, die Patronin unseres Klosters. Sie wissen es vermutlich schon: Sie lebte Ende des 19. Jahrhunderts in der Normandie, trat mit 15 Jahren in den Karmel von Lisieux ein, und als sie nur neun Jahre dort starb, da meinte eine Mitschwester, sie wisse wirklich nicht, was denn die Mutter Priorin in ihren Totenbrief schreiben solle: „Sie wurde geboren, sie trat bei uns ein, sie starb – mehr ist wirklich nicht zu sagen“, so die Mitschwester.

Wie kommt es, dass ein Mensch, der ein derart zurückgezogenes und unauffälliges Leben geführt hat, nicht nur heiliggesprochen wurde und heute Patronin zahlreicher Kirchen, ja der Weltmission ist, sondern auch noch – als dritte Frau überhaupt – zur Kirchenlehrerin ernannt wurde?

 

Therese lebte in einer Zeit, in der die Frömmigkeit von einem ausgeprägten Leistungsdenken bestimmt war: man meinte, sich den Himmel verdienen zu müssen, und dazu sei es notwendig, möglichst viele Bußwerke zu vollbringen, möglichst viele Gebete zu sprechen, möglichst viele Stoßgebete zu verrichten, eine möglichst strenge Askese zu leben usw.

Therese war mit dieser Art von Frömmigkeit aufgewachsen, und doch sie ging dann einen radikal anderen Weg: Ihr Weg bestand darin, sich einzig und allein und „mit vollem Vertrauen der unendlichen Barmherzigkeit[1] Gottes zu überlassen.

 

Vertrauen auf die unendliche Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Das ist das genaue Gegenteil davon, auf seine eigene Leistung zu bauen. Therese vertraute eben nicht auf ihre Leistung, auf das, was sie aus sich tat oder konnte. Sie hatte die bedingungslose und unendliche Liebe Gottes zum Menschen – zu sich! – erfahren, und auf diese Liebe vertraut sie ganz und gar:

„O Jesus! lass mich im Überschwang meiner Dankbarkeit, lass mich dir sagen, dass deine Liebe bis zum Wahnsinn geht... Wie flöge denn, sag mir, angesichts dieses Wahnsinns mein Herz dir nicht entgegen? Wie sollte mein Vertrauen Grenzen kennen?“[2]

Und so rät sie einer Mitschwester:

„Bewahren Sie sich ja Ihr Vertrauen! Es ist unmöglich, dass Gott darauf nicht antwortet; denn immer bemisst Er Seine Gaben an unserem Vertrauen.“[3]

 

Daher ist für Therese auch die Erfüllung der göttlichen Gebote keine moralische Leistung mehr, sondern wird zu einer Gabe, die Gott selbst uns schenken will. So schreibt sie:

„Als Jesus seinen Aposteln ein neues Gebot gab, SEIN EIGENES GEBOT, wie Er es später nennt, sagt Er nicht mehr, man müsse seinen Nächsten lieben wie sich selbst[4], sondern so wie Er, Jesus, ihn geliebt hat[5], wie Er ihn lieben wird bis ans Ende der Zeiten...

Oh! Herr, ich weiß, dass du nichts Unmögliches befiehlst, du kennst meine Schwachheit und meine Unvollkommenheit besser als ich, du weißt, dass ich meine Schwestern niemals so lieben könnte, wie du sie liebst, wenn nicht du selbst, o mein Jesus, sie auch noch in mir liebtest. Weil du bereit warst, mir diese Gnade zu gewähren, hast du ein neues Gebot erlassen.  …

Ja, ich fühle es, wenn ich Liebe erweise, so handelt einzig Jesus in mir.“[6]

 

Therese ist da ganz nüchtern: Ihr ist völlig klar, dass sie aus sich heraus nicht wirklich lieben kann, schon gar nicht so, wie dieses Gebot es verlangt: wer könnte schon lieben, wie Jesus es getan hat! Und in dem sie vor Gott und vor sich selbst dieses Unvermögen eingesteht, macht sie sich bereit, sich von Ihm und Seiner Liebe erfüllen zu lassen. Denn sie weiß, dass Gott uns diese Gabe nur schenken, diese göttliche Liebe nur dann in unser, in mein Herz legen kann, wenn ich mir meine Armut, auch meine moralische, eingestehe und annehme und mich Ihm vollkommen überlasse.

 

Genau dieses Eingeständnis, dieses Annehmen der eigenen Grenzen und der eigenen Armseligkeit aber ist es, das uns so schwerfällt. Denn es bedeutet, zu akzeptieren, dass ich aus mir selbst nicht die Kraft habe, so zu handeln, wie es gut und wünschenswert ist. Und dass daher selbst das, was ich an Gutem tue, nur möglich ist, weil Gott mich damit beschenkt hat – und es daher auch keinen Anlass gibt, darauf stolz zu sein. Oder, wie Paulus es ausdrückt: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest? Wenn du es aber empfangen hast, warum rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“[7]

 

Es ist freilich auch der Weg in eine ungeheure innere Freiheit, in der letztlich nur noch die Liebe Gottes zu mir von Bedeutung ist.

Was tun wir nicht alles, wie sehr verbiegen wir uns nicht bisweilen für ein kleines bisschen Anerkennung und ein winziges Lob, um vor anderen gut dazustehen oder wenigstens vor uns selbst! Und wir brauchen es doch auch. Ich brauche es doch, dass jemand mich liebevoll ansieht und mir so Ansehen verleiht. Dieses Bedürfnis kann ich nur dann loslassen, wenn ich zumindest anfangshaft erfahren habe, dass Gott mich immer schon liebevoll ansieht, dass Er mir immer schon Ansehen geben, ja mehr noch: mich immer schon ansehnlich machen will.

Therese hat zutiefst auf diese Liebe Gottes vertraut. Und so macht sie sich denn auch die Worte des Paulus zu eigen, der schreibt: „Mich kümmert es sehr wenig, von einem menschlichen Gerichtshof gerichtet zu werden. Ich richte mich auch nicht selbst.“ [8] Es ist nicht mehr wichtig, was andere über mich denken, ja noch nicht einmal mehr, was ich selbst über mich denke. Wichtig ist nur noch, was GOTT von mir hält, dieser Gott, der mich mit unendlicher Barmherzigkeit und Zärtlichkeit ansieht.

Welch eine Freiheit!


Sr. Maria Burger


 
[1] Selbstbiografische Schriften, Teil B, S. 130

[2] Selbstbiografische Schriften, Teil B, S. 129

[3] Carnet Rouge §19

[4] Vgl. Levitikus 19,18.

[5] Vgl. Johannes 15,12.

[6] Selbstbiografische Schriften, Teil C, S. 144

[7] 1. Korintherbrief 4,7

[8] 1. Korintherbrief 4,3-4